Fanmärsche, Zuschauerrekorde und Penaltys des Grauens
Die Europameisterschaft 2025 ist Geschichte - und sie hat Geschichte(n) geschrieben. Von ausgelassenen Fans, famosen Goalies und weniger guten Penaltyschützinnen, die in Erinnerung bleiben.
Die Tops:
Viel ist erwartet worden von der Endrunde in der Schweiz. Und die Erwartungen, sie wurden übertroffen. Fanmärsche und Zuschauerrekorde: Die Schweizer Fussballfans und die Gäste kamen während den letzten knapp vier Wochen gar nicht mehr aus dem Feiern heraus - und dies im friedlichen Rahmen, ohne Ausschreitungen.
Allein der Fanmarsch vor dem Schweizer Viertelfinal in Bern gegen Spanien zog wohl gegen 25'000 Menschen an. 29 von 31 Spielen waren ausverkauft, 657'291 Fans strömten in die Stadien von Genf bis St. Gallen, von Sion bis Basel, womit der Zuschauerrekord von 2022 deutlich übertroffen wurde. Trotz grösserer Kapazität besuchten vor drei Jahren in England "nur" 574'875 Zuschauer die Spiele.
Und auch am TV brachte die EM Rekordmarken. Mehr als 400 Millionen Menschen weltweit haben die Spiele an ihren Bildschirmen verfolgt. Selbstredend war in Schweizer Stuben das Schweizer Team Trumpf. Das 0:2 im Viertelfinal gegen Weltmeister Spanien haben bis zu 956'000 Personen verfolgt, was einem Höchstwert für ein Fussballspiel der Frauen gleichkommt. Die Zahl entspricht einem Marktanteil von 76,5 Prozent.
Gross waren die Bedenken vor dem Heimturnier. Können Pia Sundhage und ihr Team den Schalter umlegen und ihr zweifellos vorhandenes Potenzial abrufen? Oder geht es so weiter wie in der Nations League, als die Schweiz ohne Sieg direkt wieder den Gang in die B-Klassigkeit antreten musste? Mit ihrem Auftritt im ausverkauften St. Jakob-Park gaben die Schweizerinnen die Antwort auf dem Platz. Zwar verlor die SFV-Auswahl unglücklich gegen Norwegen. Doch mit ihrer Leistung eroberten die Frauen in den roten Trikots die Herzen der Anhänger.
Was folgte, waren Momente für die Ewigkeit. Oder wie es der abtretende SFV-Präsident Dominique Blanc formulierte: "Ein Sommermärchen." Unvergessen der 2:0-Sieg in Bern gegen Island und der Last-Minute-Ausgleich von Riola Xhemaili in Genf gegen Finnland, dank dem die Schweizerinnen in die EM-Viertelfinals vorstiessen - zum ersten Mal überhaupt. Mehr Geschichte war dem Team von Pia Sundhage nicht vergönnt, in der ersten K.o.-Runde war Weltmeister Spanien eine Nummer zu gross.
Bleibt zu hoffen, dass dieses Team auch nachhaltig Eindruck und Freude in der Schweizer Bevölkerung geweckt hat. Schliesslich soll gemäss Marion Daube, Direktorin Frauenfussball im SFV, die EM auch in vielen Jahren noch nachhallen: "Mit dem Nationalteam haben wir jetzt ein Aushängeschild. Aber der Fussball findet auch regional oder in der höchsten Liga statt. Deshalb ist es zentral, dass die Menschen in die Stadien gehen, die Mädchen und Frauen unterstützen."
106 Tore fielen an dieser Endrunde, was einem Schnitt von 3,42 Treffern pro Spiel entspricht. Nie gab es an einer EM der Frauen mehr Tore zu bestaunen. Wer nun denkt, dass dies den schlechten Torhüterinnen geschuldet ist, liegt falsch. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Goalies als Fliegenfängerinnen bezeichnet wurden. Waren vergangene Turniere geprägt von Fehlgriffen, überstrahlten die Goalies an der diesjährigen Endrunde vieles.
Hannah Hampton etwa führte England im Penaltyschiessen zum Titel, ihr spanisches Gegenüber Cata Coll glänzte ebenfalls mit zwei herausragenden Paraden. Ann-Kathrin Berger hexte ihr Team beim deutschen "Überlebenskampf" gegen Frankreich nicht nur ins Penaltyschiessen, sondern verwandelte dort auch selber vom Punkt. Die Schweizer Torhüterin Livia Peng zeigte - abgesehen vom ersten Gegentor gegen Norwegen - eine tadellose Leistung und zahlte das von Pia Sundhage und Goalietrainerin Nadine Angerer in sie gesteckte Vertrauen zurück. Letztere sagte: "Die Schweiz muss sich auf der Goalieposition in den nächsten Jahren keine Sorgen machen."
Der Frauenfussball wurde seit jeher von vielen Seiten belächelt. Doch Traumtore, sehenswerte Ballstafetten oder präzise Tacklings liessen selbst die härtesten Kritiker verstummen. Das Niveau ist nicht nur gestiegen, es wurde auch ausgeglichener. 8:0 etwa siegte England vor drei Jahren in der Gruppenphase gegen Norwegen, 6:0 fertigten die Lionesses 2017 Schottland ab.
Solche Resultate gab es an dieser Endrunde nicht. Die Ausnahmen bildeten das 6:1 der Engländerinnen gegen EM-Neuling Wales in der Vorrunde und das 5:0 von Turnierfavorit Spanien zum Auftakt gegen Portugal. Ansonsten waren die Spiele umkämpft und eng. Sinnbildlich gingen fünf von sieben K.o.-Duellen in die Verlängerung oder ins Penaltyschiessen. Die Floskel, die bei den Männern schon lange bedient wird, hält auch bei den Frauen langsam aber sicher Einzug: Es gibt keine "Kleinen" mehr.
Die Flops:
Der Viertelfinal zwischen Europameister England und Schweden ging nach 120 unterhaltsamen Minuten beim Stand von 2:2 in die Verlängerung. Dort gab es keine weiteren Treffer. Und selbst aus elf Metern fand der Ball vergleichsweise selten ins Tor. Lediglich 5 von 14 Versuchen landeten im Ziel. Der Ball flog rechts an den Pfosten, links vorbei, über das Gehäuse. Oder er wurde von den Goalies pariert.
Dass der Shootout zwischen England und Schweden kein Ausrutscher seitens Schützinnen, sondern vielmehr ein Spiegelbild des gesamten Turniers war, zeigt ein Blick in die Statistik. Nur 28 von 50 Versuchen vom Punkt waren erfolgreich, was einer Erfolgsquote von 56 Prozent entspricht. In dieser Hinsicht haben die Frauen noch Steigerungspotenzial.
Mal wieder gehörte Frankreich zum engsten Favoritenkreis. Hinter Spanien galten Les Bleues bei vielen Experten als heissester Anwärter auf den Titel. Doch wieder endete das Turnier mit einer riesigen Enttäuschung. Bereits in den Viertelfinals war Schluss. Dies gegen ein deutsches Team, das während 105 Minuten in Unterzahl spielte.
Im Startspiel noch fertigte Laurent Bonadeis Team Europameister England ab. Im entscheidenden Moment jedoch versagten den Französinnen einmal mehr die Nerven. Zu spekulieren, ob dies auch mit den erfahrenen und vor der EM aussortierten Wendie Renard und Eugénie Le Sommer passiert wäre, ist müssig. Ob mit oder ohne Routiniers: Frankreich wartet trotz besten Aussichten weiter auf den ersten EM-Titel.
2017 standen die Däninnen noch im EM-Final, in welchem sie den Niederlanden mit 2:4 unterlagen. Seither jedoch backen die Skandinavierinnen wieder kleinere Brötchen. Vor drei Jahren in England schieden sie bereits in der Gruppenphase aus. Und nun folgte der Totalabsturz. Mit einem Platz in der K.o.-Runde hatte das Team von Andrée Jeglertz geliebäugelt, am Ende standen 0 Punkte und der letzte Gruppenrang, noch hinter den EM-Neulingen aus Polen. Eine einzige Enttäuschung.
Das Niveau wird besser, die Zuschauerzahlen auch. Doch nicht nur bei den positiven Aspekten nähern sich die Fussballerinnen den männlichen Kollegen an. Auch was das Zeitspiel betrifft, haben es die Frauen mittlerweile faustdick hinter den Ohren. Man erinnere sich nur an das Eröffnungsspiel zwischen der Schweiz und Norwegen, als die Gäste, in Führung liegend, Zeit schindeten, dass es dem einen oder der anderen im St. Jakob-Park laute Pfiffe entlockte.
Unverblümt brachte es SRF-Co-Kommentatorin Rachel Rinast in einem Spiel der Italienerinnen auf den Punkt, indem sie über die italienische Torhüterin Laura Giuliani sagte: "Das macht sie natürlich clever", nachdem diese einen Kontakt mit der Gegenspielerin wahrgenommen hatte, zu Boden ging und so einige Sekunden für ihr Team herausholte. Die heile Frauen-Fussball-Welt erhält erste Risse.