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«Fussballprofi ist mein Traumberuf – mit seinen Schattenseiten»

Andy

Der Deutsche Lukas Görtler (31) spielt seit sechs Jahren für den FC St. Gallen, ist Captain und Leistungsträger – und neben dem Feld nicht so, wie man sich einen Fussballprofi gemeinhin vorstellt.

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Lukas Görtler war auch im Duell gegen Meister Basel (hier Léo Leroy) eine prägende Figur. © KEYSTONE/Gian Ehrenzeller

Als Lukas Görtler im Juli 2019 nach St. Gallen kam, hatte er bis dahin eine Karriere hinter sich, die eng mit Trainer Erik ten Hag, heute bei Bayer Leverkusen unter Vertrag, verbunden war. Der Holländer holte den Mittelfeldspieler vom Viertligisten Bamberg zu den Bayern, als er da Coach der U23 war. Görtler selber arbeitete damals noch als Informatik-Kaufmann – und so fand sich Görtler plötzlich beim deutschen Rekordmeister wieder, wurde Profi und stand plötzlich mit Weltstars auf dem Platz. Er spielte in der U23, durfte regelmässig bei den Profis und unter Pep Guardiola trainieren und hatte seinen Einsatz in der ersten Mannschaft in der Bundesliga – 18 Minuten gegen Leverkusen, die ihm den Eintrag als Deutscher Meister 2015 in seinem Palmarès bescherten.

Nach diesem Jahr in München verliess Coach Ten Hag den Klub, wechselte nach Utrecht und wollte Görtler mitnehmen. Der Spieler entschied sich jedoch für Kaiserslautern, ging aber zwei Jahre später ebenfalls zu Utrecht. Wiederum zwei Jahre später wechselte er zum FC St. Gallen – es war der Anfang einer speziellen Beziehung, die bis heute anhält, wie er im Interview erklärt.

2:1 gegen Meister Basel – das nennt man einen Traumstart.

Lukas Görtler: Das kann man so sagen. Die Freude hält auch ein paar Tage an und man denkt dann, dass der Start noch traumhafter wäre, wenn wir auch noch Genf besiegen würden. Aber klar, nach der Saisonvorbereitung kennt man sich noch nicht so gut aus, stellt sich viele Fragen und hat man kein richtiges Gefühl: Wer ist wie gut? Kann man selber mithalten? Da ist es natürlich cool, wenn man zum Auftakt gegen den Meister gewinnt – und das nicht unverdient. Die Punkte waren nicht gestohlen, es war ein überzeugender Auftritt, auch wenn es natürlich in die andere Richtung hätte gehen können. Und man darf nicht vergessen: Wir haben nicht gegen ganz «Unfähige» gespielt.

Es war eine grosse Willensleistung von Ihnen und dem Team. Einverstanden?

Letztes Jahr mussten wir viel Kritik einstecken, und in der Vorbereitung hatte ich das Gefühl, dass rundherum eine gewisse Unruhe herrschte, viel negativ gesehen wurde. Vielleicht war das gar nicht schlecht für uns. Sondern eine Motivation, um zu sagen: «Alle mal entspannen, wir probieren schon unser Bestes.» Der Sieg und die Art und Weise haben gutgetan, sodass alle etwas positiver auf uns schauen. Vor dem Spiel war es auch meine Zielsetzung, auf eine begeisternde Art und Weise aufzutreten. Es stand nicht nur das Resultat im Vordergrund, denn es kann ja auch mal sein, dass der Gegner schlicht besser und deshalb ein Sieg an diesem Tag nicht möglich ist. Dieses Ziel haben wir erreicht und da müssen wir weitermachen.

Sie spielen seit sechs Jahren in St. Gallen – es muss Ihnen gefallen…

Das kann man so sagen. Es passt Vieles, ich fühle mich wohl und wertgeschätzt, es macht Spass, was am wichtigsten ist. Ich komme jeden Tag gerne hierher und spüre viel Leidenschaft für den Klub, eine Verbindung auch zu den Zuschauern. Als ich hierher kam, hätte ich nicht gedacht, dass es so wird, dass es mich so lange hier hält – aber ich habe mich immer mit einem guten Gewissen für den FC S. Gallen und dafür entschieden, hier zu bleiben.

«In diesem Sommer ging ich erstmals relativ entspannt in die Ferien, weil in meinem Kopf nicht verschiedene Zukunftsideen herumgeisterten.»

Haben Sie nie gedacht, dass eine Rückkehr in die Bundesliga cool wäre?

Das gab es immer mal wieder. In diesem Sommer ging ich erstmals relativ entspannt in die Ferien, weil in meinem Kopf nicht verschiedene  Zukunftsideen herumgeisterten. Die Jahre davor stellte ich mir schon jeweils die von Ihnen erwähnte Frage. Letztendlich war ich zwar schon kurz davor, diesen Schritt zu wagen, doch irgendetwas hat mich dann doch zurückgehalten.

Was denn?

Da kann ich keinen Hauptpunkt nennen. Die Gesamtsituation in St. Gallen war für mich immer so überzeugend, dass ich andere Dinge abgesagt habe. Aber klar, es ist wie bei jedem im Leben, dass man sich manchmal sagt, dass man es doch hätte tun sollen. Es gibt verschiedene Wege, aber im Endeffekt bin ich glücklich mit meiner Entscheidung.

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2. Mai 2015: Lukas Görtler bestreitet gegen Bayer Leverkusen sein einziges Bundesligaspiel.

In Ihrem Palmarès steht ein Meistertitel mit dem FC Bayern München, den kann Ihnen niemand mehr nehmen...

Das stimmt, und ich bin froh, dass er in der Statistik auftaucht (lacht). Schauen Sie, einer meiner besten Freunde im Fussball, Cyriel Dessers, spielt bei den Glasgow Rangers. Wir waren beide in Utrecht und haben am selben Tag den Klub gewechselt. Ich ging nach St. Gallen, er zog in Holland weiter. Ich bin hier geblieben, er spielte seither für fünf oder sechs Vereine. Immer wenn wir uns treffen, sage ich ihm: Deine Karriere ist Wahnsinn, alle zwei Jahre etwas Neues, du lernst neue Leute kennen, das ist cool. Und er sagt genau das Gegenteil, meint, dass ich im ganzen Verein geschätzt werde und irgendwann nach meinem Abgang bleibende Erinnerungen hinterlassen würde. Ich denke, beide Wege sind cool und ich bin voll zufrieden.

Die Vereinstreue, das Bodenständige, das passt zu Ihnen. Sie sind kein Schillerfalter, sondern ein Mentalitätsmonster und eine treue Seele…

Viele Wechsel, Neues zu sehen und neue Sprachen zu lernen, hätte auch zu meinem Charakter gepasst, denn ich bin abenteuerlustig. Aber auch Ihre Charakteristik passt: Ich bin lange mit meiner Frau zusammen, bin ein loyaler Typ. Und am Ende gab es immer einen Grund, der mich überzeugt hat, in St. Gallen zu bleiben.

«Ich mache wohl einfach Urlaub wie der Durchschnittsmensch und nicht wie der durchschnittliche Fussballprofi.»

Nach Ihrem Wechsel in die Schweiz haben Sie mir gesagt, dass Sie Ihre Ferien jeweils als Backpacker verbringen und sich nichts aus Luxus machen…

Die letzte Reise war zwar nicht als Backpacker, aber wir sind mit dem Nachtzug nach Süditalien gefahren. Ich mache wohl einfach Urlaub wie der Durchschnittsmensch und nicht wie der durchschnittliche Fussballprofi.

Ist es schwierig, in der Fussball-Bubble so zu leben?

Nein, schauen Sie, zu meinem 30. Geburtstag bin ich letztes Jahr mit Papa, Bruder und drei Freunden mit dem Velo von Barcelona nach Genua gefahren. Diese zwölf Tage waren wohl der geilste Urlaub in meinem Leben. Lustig ist, dass das alle mega cool finden, wenn Sie darüber schreiben, aber die anderen fünf, die dabei waren, geben deswegen kein Interview – weil es schlicht ein normaler Fahrradurlaub ist. Es ist halt einfach so: Wenn man im Fussball einigermassen normal ist, wird das als etwas Besonderes wahrgenommen. Ich führe halt das Leben, wie es mein Bruder auch führt, das durchschnittliche Leben. Ich habe aber das Glück, dass mein Beruf Fussballer ist, dass ich am Wochenende vor Tausenden Menschen spiele und nicht schlecht verdiene. Aber sonst ist mein Leben nicht anders als von allen anderen.

Sie sind in St. Gallen Leistungsträger und Captain. Geniessen Sie diese Rolle, diesen Stellenwert und diese Wertschätzung?

Das ist wohl auch der Grund, weshalb ich immer hier war. Es ist menschlich zu geniessen, wenn man gemocht wird. Andererseits kann es auch störend sein, wenn man beim Einkaufen erkannt wird und alle etwas wollen. Ich weiss aber auch, dass man danach strebt, gemocht und erkannt zu werden. Fussballprofi ist mein Traumberuf – mit seinen Schattenseiten. Aber er ändert nicht viel an meinem Privatleben oder wie ich beispielsweise zum Thema Geld stehe.

«Der Erfolg an sich macht dich in deinem privaten Leben auch nicht glücklicher – oder einfach nur für einen Moment.»

Erfolg macht bekanntlich sexy – und in Ihrem Palmarès wäre schon noch Platz für den einen oder anderen Eintrag…

Da gibt es tatsächlich noch Platz. Aber ich glaube auch nicht, dass Titel unbedingt nötig sind für mein Lebensglück. Ich habe kürzlich eine sehr spannende Pressekonferenz von Golfprofi Scottie Scheffler gesehen. Es ging genau darum, ob ihn diese Erfolge glücklich machen. Und er beschrieb es so, dass ein Erfolg ihn im Moment extrem glücklich macht, also wie uns oder mich der Erfolg gegen den FC Basel. Aber dass zwei Tage später dieses Gefühl schon wieder weg ist und man eher zufrieden ist, nicht den Druck zu haben, unbedingt das nächste Turnier oder das nächste Spiel gewinnen zu müssen. Der Erfolg an sich macht dich in deinem privaten Leben auch nicht glücklicher – oder einfach nur für einen Moment. Ich habe noch keinen Titel mit St. Gallen gewonnen, gehe jedoch davon aus, dass ein Triumph eine riesige Sache wäre, aber letztendlich würde für das persönliche Glück doch nicht allzu viel bleiben. Da sind andere Sachen verantwortlich. Und trotzdem strebt man danach. Ich glaube, dass dieses Streben nach Erfolg, allgemein der Weg das Spannende ist. Mich macht das wohl mehr glücklich als der Erfolg an sich.

Sie sind nun 31 Jahre alt, Ihr Vertrag läuft bis 2028. Ist es der Plan, Ihre Karriere bei St. Gallen zu beenden?

Das ist schwierig zu sagen. In drei Jahren bin ich 34 und da haben Fussballer auch schon aufgehört, während andere mit 38 noch spielen. Am Ende hängt es von meinem körperlichen Zustand ab. Im Moment macht mir Fussball soviel Spass, dass ich heute hoffe, dass St. Gallen den Vertrag nochmals verlängert und ich noch länger Fussball spielen und vielleicht auch damit verbunden ein Abenteuer erleben kann. Aber vielleicht sieht das in drei Jahren ganz anders aus. Generell bin ich aber noch zu sehr Sportler, um mich darauf zu fokussieren, was danach sein wird.

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Emotionen pur: Lukas Görtler, wie man ihn kennt.
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