Lugano bleibt tief in der Krise
Die Zeit wird knapp für den FC Lugano. Gewisse Zerfallserscheinungen waren am Wochenende beim 0:4 in Sitten zu erkennen, es wurde schlecht verteidigt und zu wenig konsequent der Abschluss gesucht. Renato Steffen kickte nach seiner Auswechslung eine Wasserflasche weg, Ezgjan Alioski antwortete im Interview mit blue zunächst einsilbig und sichtlich bedient von den ersten Wochen bei den Tessinern.
Der in diesem Sommer nach Lugano zurückgekehrte Nordmazedonier bilanzierte trocken: "Wir spielen guten Fussball, aber das reicht nicht. Wir müssen gewinnen." Saisonübergreifend sind die Tessiner seit acht Spielen ohne Sieg. In dieser noch sehr jungen Saison gab es in vier Partien als einziges Zählbares einen Treffer und ein Remis. In der Super League liegt man am Tabellenende, im Europacup verspielte man in einem frustrierenden Duell mit Cluj den Joker. Für den Einzug in die Gruppenphase müssen die Tessiner nun die nächsten zwei Runden überstehen.
Die Frustration von Steffen und Co. kann ihnen niemand übel nehmen. Das Nervenkostüm der Luganesi musste im letzten halben Jahr einiges aushalten. Anfang Februar stand das Team von Trainer Mattia Croci-Torti noch an der Spitze der Super League. Die kühnsten Träume waren erlaubt: der erste Meistertitel seit 1949, ein zweiter Cupsieg innerhalb von drei Jahren und selbst ein historischer Exploit in der Conference League. Dann folgten innerhalb weniger Wochen das Out im Cup gegen den Drittligisten Biel, das Ausscheiden im Europacup gegen Celje, das nun in der Europacup-Qualifikation erneut der Gegner ist, und der kontinuierliche Absturz in der Meisterschaft.
Und in dieser Saison geht es mit einer verstärkten Mannschaft - neben Alioski kam mit Kevin Behrens ein weiterer routinierter Offensivspieler - im gleichen Stil weiter. Nichts scheint im Sinne des FC Lugano zu laufen. Am Sonntag hatte Croci-Torti im Sittener Tourbillon kaum seinen Dreifachwechsel vorgenommen, da traf Benjamin Kololli für die Walliser zum 3:0. Keine zwei Minuten später verzeichnete Lugano auch noch einen Pfostenschuss.
Croci-Torti hat sein glückliches Händchen verloren. Die Rotation zwischen den vielen Spielen wirkte sich zuletzt nicht mehr positiv aus, nicht vor fast einem halben Jahr im Cup gegen Biel und nicht am vorletzten Wochenende vor dem Ligastart gegen Aufsteiger Thun. In Sitten am Sonntag stand dann fast die gleiche Mannschaft auf dem Feld wie einige Tage zuvor in Cluj. Auch dieser Plan ging nicht auf.
Der so energische Coach hat die Lösung der Probleme noch nicht gefunden. Woran es zu arbeiten gilt, ist dem 43-Jährigen aber bewusst: "Wir lassen den Gegner zu einfach Tore schiessen. Das ist nicht Super-League-Niveau. Wenn wir so verteidigen, werden wir nicht viel gewinnen." Der Wille und die Lust zu verteidigen, seien nicht zu erkennen, meinte der dienstälteste Trainer der Super League.
Wieviel Zeit Croci-Torti noch hat, um den FC Lugano wieder auf Kurs zu bringen, ist eine der entscheidenden Fragen. Wären seine Verdienste mit vier Top-4-Klassierungen und einem Cupsieg nicht so gross und würde der im Januar verlängerte Vertrag nicht bis 2028 laufen, hätte ihn womöglich das gleiche Schicksal ereilt wie Thomas Häberli bei Servette. Gut möglich, dass bei der ersten Nationalmannschafts-Pause im September eine erste tiefgründigere Bilanz gezogen wird.
Das anhaltende Tief ist selbstredend nicht oder ganz bestimmt nicht nur auf Croci-Torti zurückzuführen. Begonnen hat es - womöglich zufällig - mit der Absetzung von Sportchef Carlos Da Silva im letzten Februar. Seither ist der Deutsche Sebastian Pelzer alleine hauptverantwortlich für die Transfers. An dieser Front läuft nicht alles ideal ab. Mit Mattia Zanotti und Albian Hajdari befinden sich zwei potenzielle Leistungsträger noch im Kader, spielten aber wegen anstehender Wechsel zuletzt nicht.
Der angeschlagenen Defensive um den in der Kritik stehenden Goalie Amir Saipi hätten die zwei wertvollsten Spieler des Tessiner Kaders gutgetan. So aber stehen sie für eine gewisse Planlosigkeit, die man vom FC Lugano in den Jahren seit der amerikanischen Übernahme nicht kannte.