Mit dem Giro d'Italia Frieden geschlossen
Simon Yates vertreibt mit seinem Gesamtsieg am Giro d'Italia seine italienischen Dämonen. Entsprechend emotional reagiert der Brite auf seinen zweiten Grand-Tour-Triumph.
Das Gefühl, eine dreiwöchige Rundfahrt zu gewinnen, kennt Simon Yates bereits. 2018 hat er an der Vuelta a España triumphiert. An der Tour de France gewann er zwei Etappen. Doch der Giro d'Italia ist das Rennen, auf das er sich während seiner Karriere am meisten fokussiert hat und bei dem er immer wieder vom Pech verfolgt wurde.
"Ich bin kein emotionaler Mensch, aber ich konnte die Tränen nicht zurückhalten", sagte Yates, der vor Rührung kaum reden konnte, am Tag seines grössten Triumphs.
Es war nicht irgendeine Etappe, in der er am zweitletzten Tag die Entscheidung im Gesamtklassement der zweitwichtigsten Rad-Rundfahrt der Welt herbeigeführt hat. Für Simon Yates war es ein Tag für den inneren Frieden. Wenn man so will, eine rosa Rache.
Dass er ausgerechnet mit einer Attacke am Colle delle Finestre, wo er vor sieben Jahren im Kampf um den Giro-Gesamtsieg die bitterste Niederlage seiner Karriere einstecken musste, zum grossen Schlag ausgeholt hat, ist wohl Schicksal. Das Scheitern von damals, als er am Alpenpass mit seinen gefürchteten Schotterstrassen im Leadertrikot fahrend total eingebrochen und mit fast 40 Minuten Rückstand aus der Entscheidung gefallen war, hat ihn über all die Zeit begleitet.
In den sieben Jahren, seit er das letzte Mal die Maglia Rosa trug, ist viel passiert. Simon Yates ist nun 32 Jahre alt, und dies ist seine erste Saison als Profi bei einem Team, das nicht Jayco AlUla heisst. Der Brite hat auf Anraten seines nicht minder erfolgreichen Zwillingsbruders Adam Yates, dem Gesamtdritten der Tour de France 2023 und letztjährigen Gewinner der Tour de Suisse, im fortgeschrittenen sportlichen Alter nochmals eine Luftveränderung vorgenommen. Nun wurde er für diesen Schritt reichlich belohnt.
"Ich habe wirklich viel von meiner Karriere und meinem Leben in dieses Rennen investiert, und es gab viele Rückschläge. Und es war schwer, damit umzugehen", sagte Simon Yates nach seinem Husarenritt am Samstag sichtlich gerührt. Er erinnerte daran, wie ihn einmal eine Knieverletzung zur Aufgabe gezwungen hatte, an "Covid, Krankheiten und so weiter". Er sei deshalb "wirklich ungläubig, dass ich es endlich geschafft habe, es durchzuziehen".
Letztlich war es ein Sieg wie aus dem Lehrbuch. Fast drei Wochen lang hielt sich Simon Yates gut versteckt. Er hielt sich aus den Sprints um Bonussekunden heraus, geriet nicht in Gefahr, auf Pressekonferenzen unnötig Energie zu verschwenden. Er fuhr im Schatten von Jungstar Isaac del Toro und Olympiasieger Richard Carapaz so unauffällig, das man ihn fast vergass. Doch Simon Yates war immer da, immer in ihrer Nähe, und als er in der letzten Bergetappe seine Chance sah, schüttelte er seine beiden Konkurrenten ab und zog das Ding eiskalt durch.
Der Gedanke an die vielen, schwierigen Giro-Tage aus der Vergangenheit liess Yates' Emotionen wieder anschwellen. Aber es machte auch den diesjährigen Sieg noch süsser. Diesmal war er es, der den Anstieg bezwang, nicht umgekehrt.