Sand-König Alcaraz stärker als der Druck
Carlos Alcaraz beweist im epischen Final gegen die Weltnummer 1 Jannik Sinner am French Open seine Comeback-Qualitäten und beeindruckt damit nicht nur die Tennis-Welt, sondern auch sich selbst.
"Es gibt Schläge, bei denen ich nicht weiss, wie sie mir gelungen sind", erklärte Alcaraz nach seinem hochdramatischen Fünfsatzsieg in Roland Garros. Obwohl er mit 0:2 Sätzen zurücklag und im vierten Durchgang drei Matchbälle abwehren musste, hat der Spanier nie den Glauben an sich und eine Wende verloren.
"Ich habe nie an mir gezweifelt", gestand er. "Heute habe ich alles gegeben, um zu versuchen, es zu schaffen. Deshalb spiele ich in den entscheidenden Momenten mein bestes Tennis." In schwierigen Situationen müsse man die beste Version seiner selbst hervorbringen. "Genau das tun wahre Champions, und genau das habe ich versucht, um auf ihr Niveau zu kommen", reflektierte Alcaraz.
Dass er mit 22 Jahren nun gleich viele Grand-Slam-Turniere gewonnen hat wie sein Landsmann Rafael Nadal in diesem Alter, fühlt sich für den Spanier noch etwas surreal an. "Ich muss erst einmal realisieren, was ich erreicht habe. Der Zufall, dass ich meinen fünften Titel im selben Alter wie Rafael Nadal, mein Idol und meine Inspiration, gewonnen habe, ist wohl Schicksal. Es ist eine Ehre und ich hoffe, dass es nicht dabei bleibt."
Alcaraz gab zu, dass er während des Finalspiels Nadals legendäre Comebacks im Kopf gehabt hat. "Ich habe Rafa bei seinen grossartigen Wendungen beobachtet. Dieser Kampfgeist, niemals aufzugeben, war genau das, was ich heute mobilisieren musste.“
Auf die Frage, ob er diese Partie auf einer Stufe mit den legendären Wimbledon-Finals zwischen McEnroe und Borg (1980) sowie Federer und Nadal (2008) sehe, antwortete Alcaraz bescheiden: "Wenn es so war, ist es eine grosse Ehre für mich. Ich weiss nicht, ob es auf dem gleichen Level war, denn diese Finals gehören in die Geschichte dieses Sports." Er sei einfach "froh, dass wir heute unsere Namen in die Geschichtsbücher dieses Turniers geschrieben haben". Das Vergleichen überlasse er anderen.
5 Stunden und 29 Minuten kämpften die Nummern eins und zwei der Welt um den Titel in Roland Garros und lieferten sich damit das längste Finalspiel der Turniergeschichte. Erst einmal dauerte ein Grand-Slam-Final noch länger: Am Australian Open 2012 bekämpften sich Novak Djokovic und Rafael Nadal über 5:53 Stunden, ehe die Partie mit einem 5:7, 6:4, 6:2, 6:7 (5:7), 7:5-Sieg für den Serben endete.
Der erste Major-Final zwischen Alcaraz und Sinner war auch ein Versprechen für die Zukunft. Wer befürchtet hat, es werde ohne die Big 3 um den noch immer aktiven Djokovic sowie die zurückgetretenen Federer und Nadal keine Finalspiele mehr geben, die Tennisfans rund um den Globus in ihren Bann ziehen, wurde am Sonntag eines Besseren belehrt.
So hart, präzise und spektakulär schlugen sich der Spanier und der Italiener auch nach mehr als fünf Stunden die Bälle um die Ohren. Es war ein Duell, das eigentlich nur per Match-Tiebreak entschieden werden konnte, so marginal waren die Unterschiede der beiden Finalisten. Was die Punkte anbelangt, hatte Sinner mit 193:192 gegenüber Alcaraz am Ende sogar die Nase leicht vorne.
In fünf Wochen könnte es in Wimbledon bereits zum nächsten Showdown kommen. Wie schon in Roland Garros wird Alcaraz erneut als Titelverteidiger ins Turnier steigen, Sinner peilt auf dem heiligen Rasen des All England Lawn Tennis Clubs seine erste Finalteilnahme an. Wobei er selbstverständlich nichts dagegen einzuwenden hätte, ginge er im Südwesten Londons als Sieger vom Platz.