Sarina Wiegman: Eine Trainerin auch für die Männer?
Die Holländerin Sarina Wiegman verkörpert im Fussball den Erfolg – und das nicht erst seit dem Titelgewinn an der EM 2025 in der Schweiz. Landet die 55-Jährige vielleicht schon bald im Männerfussball?
Ihre Erfolge wirken auf den ersten Blick surreal. Der dramatische Finalsieg im Penaltyschiessen mit England gegen Spanien am Sontag im Basler Joggeli katapultierte Sarina Wiegman in den Hitlisten weiter nach oben. Die Niederländerin konnte zum dritten Mal in Serie die EM-Trophäe in die Höhe stemmen, nachdem sie 2017 mit ihrem Heimatland triumphiert hatte und 2022 mit den «Lionesses» nachgedoppelt hatte. Ein blitzsauberer Titel-Hattrick als Trainerin war zuvor nur Tina Theune mit Deutschland (1997, 2001, 2005) gelungen. Zudem führte Wiegman 2019 die Niederlande und 2023 England in den WM-Final, verlor dort aber zuerst gegen die USA und dann gegen Spanien.
Und nun also im EM-Final gegen Spanien die Revanche für diese WM-Niederlage. Wiegman, bereits als FIFA-Welttrainerin der Jahre 2017, 2020, 2022 und 2023 ausgezeichnet, ist endgültig auf dem Fussball-Olymp angekommen, zur Krönung fehlt nur noch der WM-Titel, und der soll 2027 folgen, wie König Charles nach dem EM-Titel über die sozialen Medien mitteilte. «Gut gemacht, Lionesses! Die nächste Aufgabe ist es, die Weltmeisterschaft 2027 nach Hause zu holen, falls möglich!», liess er Sarina Wiegman und ihre Spielerinnen wissen.
Die Niederländerin ist das Erfolgsgesicht der Engländerinnen und «zu keinem Preis zu verkaufen, wie Mark Bullingham, Geschäftsführer des englischen Fussballverbands, sagt. «Ich finde ihre persönliche Bilanz phänomenal», erklärte Bullingham schon vor dem EM-Final. «Als ich vor dem Turnier mit den Medien sprach, sagte ich, dass wir Glück haben, sie zu haben, und das finde ich immer noch. Ich finde, sie hat Unglaubliches geleistet.» Ihre Bilanz von fünf Turnieren und fünf Finalteilnahmen sei phänomenal. Er glaube nicht, dass jemand in der Vergangenheit auch nur annähernd so erfolgreich war, und es werde in Zukunft sehr schwer sein, das zu wiederholen, «sie ist eine ganz besondere Trainerin, und wir sind sehr froh, sie bei uns zu haben».
Die Euphorie rund um die 55-Jährige wurde in diesen Tagen in der Schweiz immer grösser, nachdem sie zuvor auch in der Kritik gestanden war, unter anderem wegen dem Startspiel gegen Frankreich, als die einstige Nationalspielerin, ausgebildete Sportlehrerin und zweifache Mutter keine Lösung fand und erstmals nach zwölf Siegen eine Partie bei einer Europameisterschaft verlor. Oder auch wegen der Taktik im Viertelfinal gegen Schweden. Mit ihren Wechseln war Wiegman dann aber dafür verantwortlich, dass gegen Schweden der 0:2-Rückstand noch in einen Sieg im Penaltyschiessen gedreht wurde und dass gegen Italien im Halbfinale ein Last-Minute-Erfolg gelang.
Mit ihrem eindrücklichen Palmarès hat Sarina Wiegman natürlich Begehrlichkeiten geweckt, auch wenn man im englischen Verband gelassen in die Zukunft schaut, wie Geschäftsführer Bullingham in diesen Tagen erklärte: «Wir haben uns bis 2027 an sie gebunden, und sie hat sich an uns gebunden. Sie ist einfach eine coole Person, und die Art, wie sie das auf dem Platz vermittelt – sie wirkt wie die coolste Person im Stadion.» Er habe keinen Zweifel, dass das in kritischen Momenten helfe.»
T-Shirts und Banner mit dem Aufdruck «In Sarina We Trust» manifestieren den hohen Stellenwert, den die Erfolgstrainerin auf der Insel geniesst. Ein weiteres Zeichen dafür ist, dass FA-Boss Bullingham sie zuletzt wie erwähnt als «unverkäuflich» bezeichnet hatte, wobei es allgemein bekannt ist, dass dieser Begriff im Fussball eigentlich nicht existiert. Dies vor allem dann, wenn es plötzlich zu einem Thema wird, dass Sarina Wiegman ihr Glück im Männerfussball versucht. Aktuell beträgt ihr Jahressalär beim englischen Verband rund 400'000 Pfund im Jahr, also etwa 450'000 Euro, wie gemunkelt wird. Der Deutsche Thomas Tuchel, ihr Pendant bei den englischen Männern, kassiert pro Jahr etwa das Zwölffache, und so ist die Trainerin angesichts ihrer Erfolge und ihrer Erfahrungen schon fast ein Schnäppchen. Entsprechend scheint es durchaus realistisch oder zumindest nicht illusorisch, dass man in einem Klub früher oder später daran denkt, das Experiment zu wagen, «Wundertrainerin» Sarina Wiegman ein Männerteam anzuvertrauen.
So hatte auch FA-Direktor Mark Bullingham vor zwei Jahren auf die Frage, ob Wiegman auf Männer-Nationaltrainer Gareth Southgate folgen könnte, gesagt: «Ich denke, unsere Antwort ist immer: Es ist die beste Person für den Job. Die Leute sagen immer, es ist der beste Mann für den Job oder der beste Engländer. Warum muss es ein Mann sein?» Er denke, Sarina Wiegman könne im Fussball alles erreichen, was sie wolle.
Ob dies tatsächlich so ist, wird die Zukunft zeigen müssen. Die Trainerin hatte zuletzt erklärt, dass sie ihre Zukunft im Frauenfussball sieht. Gleichzeitig ist es im Macho-Business Männerfussball ähnlich wie in der Katholischen Kirche – Frauen können es nicht bis ganz nach oben schaffen. So sagte etwa der ehemalige Profi Wesley Sneijder im Rahmen der Diskussion, das seine Landsfrau Wiegman bei den englischen Männern auf Southgate folgen könnte: «Die Tatsache, dass wir jetzt darüber reden, ist schon zu viel. Ich habe nichts gegen sie, aber wir übertreiben hier ein bisschen. Ein weiblicher Trainer in einer Männermannschaft? Wir werden verrückt. Der Männerfussball ist eine Welt der Gockel.» Eine Frau könne sich kaum mit einem Mann messen.
Nach dieser EM in der Schweiz, die für so viel positive Resonanz gesorgt und bei der sich Sarina Wiegman die Krone aufgesetzt hat, dürfte der 134-fache holländische Internationale und Champions League-Sieger mit solchen Aussagen aber massig Kritik ernten – und dies nicht nur bei Frauen.